Rede von Ilse Kokula


Ilse Kokula während ihrer Rede am 16. Oktober 2013 in Berlin-Schöneberg


Dokumentation der Rede der Zeitzeugin Ilse Kokula, die sie während der Gedenksteineinweihung für Gertrude Sandmann und Tamara Streck am 16. Oktober 2013 in Berlin-Schöneberg gehalten hat:



Unbesungene Helden


Die Malerin Gertrude Sandmann gehört zu den "unbesungenen Helden". Deshalb freue ich mich besonders, dass ein Kreis von Freundinnen diesen Gedenkstein ermöglichte. Da Gertrude Sandmanns Grab und das ihrer Lebensgefährtin Tamara Streck nicht mehr existiert, ist hier nun ein Ort, der an sie erinnert.

Kurt Grossmann berichtet in seinem 1957 erschienen Buch "Die unbesungenen Helden. Menschen in Deutschlands dunklen Tagen" von Gertrude Sandmanns vorgetäuschtem Selbstmord und der Hilfe ihrer damaligen Freundin Hedwig Koslowski in den Jahren der Judenverfolgung. Gertrude Sandmann hat mir auch von dem Verstecktsein berichtet.

Kennengelernt hatte ich sie über Kitty Kuse, die im Alter von 70 Jahren die Gruppe L`74 gegründet hatte. L steht für Lesbos und 74 für das Gründungsjahr. Gertrude Sandmann hatte bereits 1970 Kitty Kuse geraten, eine Gruppe für ältere lesbische Frauen zu gründen. Sowohl Tamara Streck, eine ehemalige Akrobatin, als auch Gertrude Sandmann machten sich in dieser Gruppe nützlich. Tamara Streck, die als Fahrerin für einen Papierversand tätig war, besorgte das Papier für den Druck der UKZ (Unsere Kleine Zeitung), die Kitty Kuse und die Gruppe herausgab. Gertrude Sandmann entwarf das Titelbild dieser Zeitschrift für lesbische Frauen und schrieb einige Artikel. Gelegentlich erschienen Zeichnungen von ihr.

Auch um das Gruppengeschehen kümmerten sich die beiden. Frau Sandmann, damals bereits 81 Jahre war, konnte nicht so oft zu den Treffen kommen. Dafür beriet sie Kitty Kuse am Telefon und fragte, wie der Abend verlaufen sei. Sie machte Mut zum Weitermachen, wenn gruppendynamische Probleme auftraten. Bei den wenigen Treffen, an denen sie teilnahm, sprach sie fast gar nicht. Später sagte sie mir, Krieg und Verfolgung hätten ihr die Sprache verschlagen. Ich hätte die Malerin gern einmal interviewt. Das war aber nicht möglich. Die schweigsame Gertrude Sandmann war manchen Mitgliedern befremdlich. Sie saß da und beobachtete. Tamara verbreitete eine gute Stimmung. Ein damaliges Mitglied erinnerte sich später: "Wenn Tamara da war, konntest du dich wohlfühlen, nicht so wie bei Muttern, sondern bei DER Mutter! So was Liebes, Unaufdringliches." 1978 zogen sich die beiden Frauen aus der Gruppe zurück. Ich behielt noch einige Zeit Kontakt. 1979 starb Tamara nach einem längeren Krankenhausaufenthalt.

Ein oder zweimal habe ich die beiden Frauen in ihrer bescheidenen Wohnung besucht. Gertrude Sandmann zeigte mir zahlreiche Bilder, die mich ansprachen. Damals schämte ich mich, weil ich so wenig von Kunst allgemein und von Malerei verstand und nichts zu sagen wusste.

Zum Schluss noch etwas zu den beiden Frauen. Die zierliche Gertrude Sandmann wirkte wie eine Aristokratin. Lilo, ein engagiertes Gruppenmitglied, sprach von ihr als "Grande Dame de Lesbianisme". Röschen Streck wurde hingegen von allen nur Tamara genannt. Auf jeweils eigene Art haben beide in der Gruppe L`74 Einfluss gehabt und deren Entwicklung gefördert. Dass sich die soziale Lage für lesbische Frauen in den vergangenen drei Jahrzehnten verbessert hat, geht auch auf ihren Mut zurück. Auch aus diesem Grund freue ich mich über den Gedenkstein.

Ilse Kokula (Berlin 2013)