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Louise Dumont (1862-1932) – Jede Künstlerin ist bisexuell |
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Louise Dumont1 wurde 1862 in Köln als zweites von elf Kindern als Louise Heynen geboren, wuchs in Köln und Kassel auf und besuchte zunächst eine höhere Töchterschule. Nach dem zweiten Konkurs ihres Vaters verdiente sie sich ab 1879 selbst ihren Lebensunterhalt als Näherin und Verkäuferin in einer Kurzwarenhandlung in der Kölner Breite Straße. Ihren Wunsch nach finanzieller Selbstständigkeit wollte sie schließlich beim Theater verwirklichen. Sie erhielt in Berlin eine schauspielerische Ausbildung, debütierte am Berliner Residenztheater und kam über das Deutsche Theater in Berlin nach Graz. Ab 1887 war sie Ensemblemitglied im Wiener Burgtheater. Später feierte sie in Stuttgart große Erfolge. Nach gescheiterten Versuchen in Weimar und Darmstadt gründete sie gemeinsam mit ihrem Mann Gustav Lindemann 1905 in Düsseldorf das Schauspielhaus und übernahm die Intendanz. Louise Dumont galt dabei als universelle Schauspielerin mit ungewöhnlich eigenem Charakter. In der Weimarer Republik verschlechterte sich die finanzielle Situation des Theaters infolge der Inflation, und es musste zwischen 1922 und 1924 geschlossen werden. In dieser Theaterpause entfremdete sich Louise Dumont von ihrem Mann. Nach den Überlieferungen zu urteilen, blieb der Umgangston zwar nach außen weiterhin herzlich, aber die inzwischen über Sechzigjährige wandte sich verstärkt Frauen zu und schenkte ihre Zuneigung vermehrt jungen Schauspielerinnen, darunter Louise Rainer, Fita Benkhoff und Hanni Hoessrich.2 Sie führte den Theaterbetrieb erfolgreich weiter, ebenso wie ihre Akademie, die seit 1915 Hochschule für Bühnenkunst hieß und viele hervorragende Schauspieler hervorbrachte. Am 16. Mai 1932 starb sie an einer Lungenentzündung und wurde auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof beerdigt. Ihr Grabmal schuf Ernst Barlach.3 Hinweise auf Homosexualität Louise Dumont war vermutlich lesbisch, wofür es verschiedene Hinweise gibt. Zum einen ist dies der Nachruf Ferdinand Karsch-Haacks in der Homosexuellenzeitschrift Die Freundschaft: »Gleich der hervorragendsten Dichterin des griechischen Altertums, der Lesbierin Sappho, galt die zärtliche Liebe auch der deutschen Bühnenkünstlerin Louise Dumont dem eigenen Geschlecht. Mag immerhin die in gleichgeschlechtlichen Dingen krankhaft verschleierungswütige deutsche Gesellschaft, der doch die Dumont zeitlebens angehörte, diese Wahrheit über sie ablehnen oder als ›índiskret‹ brandmarken – was geht das uns an? «4 Zum anderen sind dies ihre eigenen Äußerungen in ihrem Buch Vermächtnis, in dem sie in abstrakter und theoretischer Form zur Schauspielkunst Stellung nahm. Einige Passagen wirken so, als wenn sie eine Übergeschlechtlichkeit oder Bisexualität bei jeder Künstlerin als notwendig erachte, auch wenn sie dies von der körperlichen Sexualität zu trennen scheint. Ihre Beschreibung von männlichen und weiblichen Eigenschaften in einer Person erinnert an die Zwischenstufentheorie von Magnus Hirschfeld (1868-1935): »In der Pubertätszeit, so lehrt die moderne Psychologie, ist die Bisexualität ziemlich allgemein. Goethe aber lehrt uns: Der geniale Mensch erlebt öfter im Leben die Periode der Pubertät. Mithin darf angenommen werden, daß der künstlerische Mensch im allgemeinen zu den Grenzerscheinungen gehört, in denen männlichweibliches Wesen immer zusammenklingt. Die Dominante ist hier das Entscheidende. Rechnen wir hierzu die entsprechend erhöhte Sehnsucht nach Ergänzung, so sehen wir ein farbiges Spiel der Kräfte, eine Steigerung in das Reich höherer Vereinigung, die hoch über aller geschlechtlichen Sehnsucht steht.« In den folgenden Ausführungen setzt sich Dumont für die Überwindung der Scham – hier vielleicht im Sinne von Prüderie – ein: »Reicht die Leidenschaft in seelische Bezirke, die über der Niederung des Geschlechtsleben stehen, so sprengt sie die Hülle der Konvention, und keine Scham wird den Aufschrei verhindern.[...] Die Seite der niederen Erotik wird – wenn auch in allen Arten und Abarten abgewandelt – unwesentlich.[...] Durchaus und tief verschieden ist schon die Ausdrucksform von männlicher und weiblicher Wesensart im Gesamtwerk Goethescher Dichtung. Es sind in Wahrheit zwei verschiedene Hälften des menschlichen Wesens, die in gegenseitiger Ergänzung erst den vollen Strom schöpferischen Lebens, auch in der geistigen Welt, erzeugen.« In einigen Passagen scheint sie sich für eine teilweise gesellschaftliche Enttabuisierung von Homosexualität auszusprechen, unter weiterer Bewahrung von einem »Geheimnis« – hier vielleicht im Sinne des Respekts vor einem zu schützenden persönlichen Intimbereich. Die von ihr verwendeten Begriffe »Schicksal« und »Tragik« können als literarische Maskierung von Homosexualität gedeutet werden.5 »Hierzu kommt eine Wahrhaftigkeitsfanatik in der Aufdeckung aller Beziehungen des niedrigen Eros (auch zum Teil als schicksalhafte Tragik). Wir leben nun einmal in der Zeit der Nacktheit, der seelischen wie der körperlichen; damit wird aber das Geheimnis, das hinter allem steht, nicht etwa ignoriert; seine Grenze wird nur weiter hinausgeschoben. Diese weiter hinausgerückte Grenze für das Geheimnis, das wir mit unseren irdischen Sinnen kaum ahnen, nie erfassen können, bringt eine ungeheure Erweiterung unseres Lebensraumes; und diese verschobene Grenze ist auch wesentlicher Bestandteil des neuen Dramas. Die Grenzgebiete sind aber nicht nur in politischen Landen die schwierigsten Gegenden; sie sind es – ach, noch so viel mehr im geistigen Gelände.«6 Auch die scherzhaften Bemerkungen des Schriftstellers Julius Bab über ihren Schnurrbartflaum7 und die von Wilhelm Schmidtbonn (1876-1952) angenommene gemeinsame Wesensart von Louise Dumont mit der Gräfin von Gleichen8 waren evt. Anspielungen auf ihre Homosexualität. Die Formulierungen, mit der ihr von homosexuellen Autoren diverse Dramen angeboten wurden, legen den Schluss nahe, dass die schwulen Männer aus dem Umfeld des Eigenen davon ausgingen, dass sie lesbisch war. Mit ihrer Unterschrift unterstützte Louise Dumont gemeinsam mit ihrem Mann spätestens ab 1922 die Petition zur Abschaffung des § 175.9 Es ist vermutlich kein Zufall, dass Personen, die sich aus dem Theaterbereich kannten – Herbert Eulenberg (1876-1949), Max Martersteig (1853-1926) und Wilhelm Schmidtbonn, – die Petition zeitgleich unterstützten.10
© Erwin In het Panhuis (Köln 2006) Auszug aus: Erwin In het Panhuis: Anders als die Andern. Schwule und Lesben in Köln und Umgebung 1895-1918. Hrsg. vom Centrum Schwule Geschichte. Emons: Köln 2006 (CD-ROM-Version). Zitiervorschlag:
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