Ereignisse im Kaiserreich rund um die "Neue Damengemeinschaft" (hier: ND),
"Bülow-Casino" (hier: B-C), Damenkegelklub "Goldene Kugel" (hier: GK):
Lesben*-Selbstorganisierung

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Datum

Ereignisse und Informationen: ND, B-C, GK

1905 (Jan)

Damenkegelklub (?) "Die Goldene Kugel" in Berlin gegründet

(1906 bis) 1908
(Frühling, Sommer?)
Rose

Gründung der "Neuen Damengemeinschaft" in Berlin: Zeitungen berichten, dass "seitens des Vorstandes des ‚Damenklubs' Inserate erlassen worden wären, in denen ‚Gleichgesinnte' nach einem bekannten Weinrestaurant in der Potsdamerstraße bestellt wurden, wo man als Erkennungswort die Worte ‚Lesbos' und ‚Aphrodite' sowie eine rote Rose als Erkennungszeichen hatte" (Berliner Volks-Zeitung, 22.4.1909, Morgen-Ausgabe)

1909 (9.1.)

Scheidung Hedwig Katz (geb. 1868): Die evangelisch geborene Hedwig Cruziger hatte am 1.10.1890 den Dissidenten Emil Katz (1865-1914) geheiratet. Vor der Scheidung hatte sie über die ND eine dreimonatige Affäre mit Fräulein D. Die Ehe Katz wird auf Urteil des Landgericht III am 9.1.1909 geschieden

1909 (20.1.)

In der Zeitung "Die Große Glocke" erscheint ein Artikel über die "Neue Damengemeinschaft": Ein "Homosexuellenklub" mit "Tribadenorgien" trifft sich immer mittwochs im "Nollendorfkasino".

1909 (20.1.)

An diesem Tag – so die "Große Glocke" – findet auch ein Kostümfest der ND im "Nollendorfkasino" statt (Die Große Glocke, 20.1.1909)

1909 (Feb/ März?)

Die Vorsitzende der "Neuen Damengemeinschaft", Olga Lehmann (k. A.), hat eine einstweilige Verfügung gegen die "Große Glocke" erwirkt: Konventionalstrafe von 500 Mark bei jedem Übertretungsfall, also ein Verbot, Weiteres über die ND zu veröffentlichen

1909 (ca. 11.-13.4.)

Einige Zeitungen (Friedenauer Lokal-Anzeiger, Intelligenzblatt Bern, Rigaische Rundschau) berichten vom bevorstehenden Damenklub-Prozess: Möglicherweise hat es so etwas wie eine Presseerklärung der "Großen Glocke" gegeben

1909 (21.4.)

Beleidigungsprozess von fünf Mitgliedern der ND gegen Felix Wolff (1882-mind.1939) und seinen Artikel "Der Homosexuellen-Klub Neue Damengemeinschaft":
Das Gericht erklärt den Artikelinhalt für zutreffend und daher nicht für beleidigend; ganz im Gegenteil wird Felix Wolff freigesprochen: "Durch eine Reihe von Momenten aus der Beweisaufnahme sei festgestellt worden, daß der Klub nicht nur den in den Satzungen vorgeschriebenen Zwecken, sondern auch unlauteren Zwecken gedient habe. Es sei festgestellt, daß in ganz ostentativer Weise in dem Klub gewisse Aeußerungen von Homosexualität betätigt worden sind daß ferner auch die Vorsitzende sich in einer kokottenartigen Weise bewegt hat. Der Angeklagte habe volles Recht gehabt, wenn er dieses Treiben als schamlos bezeichnete, durch das die echte Frauenwelt, die durch den harmlosen Namen des Klubs angelockt werde, unter Umständen an Leib und Seele vergiftet wird" (Berliner Volks-Zeitung, 22.4.1909, Morgen-Ausgabe)

1909 (28.4.)

Entscheidung über die einstweilige Verfügung: Die seit zwei Monaten geltende einstweilige Verfügung gegen Wolff, die ihn daran hindern sollte, Namen zu nennen und weitere Einzelheiten über die ND zu berichten, wird aufgehoben.

1909 (7.5.)

Die Berliner Frauenrechtlerin Anna Plothow (1853-1924), erste weibliche Redakteurin des "Berliner Tageblatts", sieht durch die zahlreichen negativen Artikel "in Anlehnung an eine Prozeßverhandlung" die Berliner Frauenklubs gefährdet und unter Generalverdacht gestellt. Deshalb verteidigt sie die vornehmen Klubs (Berliner Tageblatt, 7.5.1909)

1909 (9.7.)

Hedwig Katz steht nach ihrer Scheidung und nach dem Beleidigungsprozess vor Gericht, da sie die Rezitatorin Fräulein D. (k.A.) zu einer Falschaussage zu ihrer gemeinsamen intimen Beziehung überreden wollte. Das Gericht entscheidet, dass Katz sich auf ihren Geisteszustand untersuchen lassen muss. Die Verhandlung wird dafür unterbrochen.

1910 (20.1.)

Bruno Ablaß (1866-1942), Abgeordneter der deutsch-freisinnigen Volkspartei, führt in einer Rede vor dem Reichstag den Beleidigungsprozess der ND als Beispiel dafür an, die Presse in Verhandlungen zuzulassen, wenn die Öffentlichkeit eigentlich ausgeschlossen worden war, Verhandlungen des Reichstags, Berlin 1910, 21. Sitzung https://daten.digitale-sammlungen.de/, letzter Abruf 1.11.2020

1910 (6.2.)

Das "Kasino des Künstlerheims", anscheinend ein Vorläufer des "Bülow-Casinos" (B-C), in der Corneliusstr. 5 wird ausgehoben (Theis 1992: 60; Die Große Glocke, 16.2.1910)

1910 (27.5.)

Prozessberichterstattung gegen Hedwig Katz, Fortsetzung der im Juli 1909 begonnenen Verhandlung: Ihr Geisteszustand kann nicht strafmildernd berücksichtigt werden. Sie wird zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt.

1910 (22.6.)

"Die weiblichen Homosexuellen Berlins entfalten eine fleißige Organisationstätigkeit, das muß man schon sagen. Sie schaffen sich immer neue Versammlungszentren, wo sie ‚tagen' und sich zu süßen Stunden der Freundschaft einfinden" (Die Große Glocke, 22.6.1910)

1910 (15.8.)

Der Kegelklub (?) "Goldene Kugel" feiert in einem Wirtshaus an der Krummen Lanke ein Fest, und andere Gäste des Wirtshauses echauffieren sich darüber. (Die Welt am Montag, 29.8.1910; Kokula 1980; Dobler 2003: 63-65)

1910 (31.8.)

Friedrichstraße, Ecke Zimmerstraße
Friedrichstraße, links Einmündung Zimmerstraße, um 1910

Bierkeller von Anna Oberg (k.A.), Zimmerstr. 58 als Homosexuellentreff – nach Razzia geschlossen (Die große Glocke, 31.8.1910)

1910 (17.9.)

Handelsregistereintrag (Handelsregister B) vom 13.9.1910: "No. 8262: Bülow-Casino. Wein-Vertriebs-Gesellschaft mit beschränkter Haftung." Geschäftsführerin Helene Diller (k.A.) (Berliner Börsen-Zeitung, 17.9.1910, Abend-Ausgabe)

1910 (21.12.)

Hinweis auf einen lesbischen Damen-Kegelklub "mit Homosexualitätsprinzip" in der Moritzstraße (Die große Glocke, 21.12.1910)

1911 (11.11.)

Nach der mutmaßlichen Selbstauflösung der ND ist wieder eine neue "Gelegenheitsmacherei für Homosexuelle" entstanden (Die Große Glocke, 11.11.1911)

1912 (27.2.)

Frau W. und Frau P. sitzen an diesem Abend im Restaurant "Fürstenhof" und lernen zwei Herren kennen. Die Unterhaltung wird in der "Nollendorfbar" fortgesetzt. Einer der Herren wird mit einer Droschke nach Hause gefahren; der andere lädt die Damen zu einer ‚geschlossenen Gesellschaft' im "Bülow-Casino" ein, wo zwei weitere Herren hinzukommen. Die Frauen sollen dem Treiben der Drei zusehen. Als sie schreien, werden sie durch einen angrenzenden Parfümerieladen herausgelassen. Einige Tage später beschuldigt einer der Herren, der Inhaber des Parfümeriegeschäfts, Frau W. des Diebstahls. Sie nimmt sich das Leben, wird aber später vom Gericht wegen Falschbezichtigung freigesprochen (Vorwärts, 6.4.1913)

1912 (12.5)

Die Klavierspielerin Anna Pruksch (1867-1921) steht wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses" im Kellerlokal in der Taubenstr. 8 vor Gericht und wird zunächst zu neun Monaten Gefängnis verurteilt

1912 (1.6.)

"Bülow-Casino" in der Bülowstr. 27 ausgehoben, auch einige weibliche, teils jugendliche Gäste. Zur Tarnung Versammlungen als geschlossene Gesellschaft angemeldet, Inhaberin ist Helene Diller (k.A.) zusammen mit Teilhaberin Käthe Bloch (k.A.). Sie haben zusammen ein Hotel garni in der Friedrichstr. 153a (Berliner Börsen-Zeitung, 1.6.1912)

1912 (28.7.)

Der Prozess gegen die Klavierspielerin Anna Pruksch wird fortgesetzt. Das Urteil wird abgemildert und die Untersuchungshaft abgezogen: Sie wird zu vier Wochen Gefängnis verurteilt (Berliner Tageblatt, 28.7.1912, Morgen-Ausgabe)

1912 (Herbst)

Der Damenklub "Altes Geld" müsste sich zu diesem Zeitpunkt gegründet haben. Im November 1929 feiert der Klub sein "17. Stiftungsfest" (Die Freundin, 6.11.1929, Nr. 19)
Am 7. Oktober 1930 wurde 10jähriges Jubiläum für Vorstand und 1. Kassiererin des Klubs "Altes Geld" gefeiert (Die Freundin, 1.10.1930, Nr. 40)

1912 (24.11.)

Helene Diller, die Inhaberin vom "Bülow-Casino", wird wegen Übertretung der Polizeistunde zu 50 Mark verurteilt. Die anderen Anklagepunkte ("Erregung öffentlichen Ärgernisses", "Kuppelei", "Veranstaltung für unerlaubte Lustbarkeiten") lassen sich nicht nachweisen; der Geschäftsführer Walter Siemens wird freigesprochen (Berliner Volks-Zeitung, 24.11.1912)

1912 (3.12.)

Die Bülow-Casino GmbH wird von Helene Diller aufgelöst (Berliner Börsen-Zeitung, 3.12.1912)



Legende:
Bülow-Casino (B-C)
Damenkegelklub Goldene Kugel (GK)
Neue Damengemeinschaft (ND)
keine Angaben (k.A.)


Ingeborg Boxhammer und Christiane Leidinger (Bonn/Berlin/Düsseldorf 12/2020)

Zitiervorschlag:
Ingeborg Boxhammer/Christiane Leidinger: Ereignisse im Kaiserreich rund die "Neue Damengemeinschaft": LGBTI-Selbstorganisierung und Selbstverständnis. Available from: Online-Projekt Lesbengeschichte. Boxhammer, Ingeborg/Leidinger, Christiane (30.12.2020). URL https://www.lesbengeschichte.org/subk_zeit_lesb_d.html [cited DATE].






Dieser Beitrag ist entstanden im Rahmen des Mikroforschungsprojektes
"Diskriminierende Angriffe und offensive Abwehr – Eine Geschichte der Selbstorganisierung ‚Neue Damengemeinschaft' und ihrer selbstbewussten Akteurinnen* in Berlin um 1900"
Hochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften
Laufzeit: 10/2020-12/2020
Gefördert von: Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung zur Forschungsförderung von Mikroprojekten, Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung

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