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Lesben und Nationalsozialismus

Kommentierte Literaturliste zum Film "Aimée & Jaguar"

Vorbemerkung:
Die Praxis der sprachlichen Verwendung umstrittener Begriffe und Umschreibungen (z. B. „Holocaust“, „arisch“, Gegenüberstellung von „jüdisch“ und „deutsch“, generisches Maskulinum (verallgemeinernde männliche Form eines Wortes) oder Nennung der Protagonistinnen beim Vornamen) wurden in den folgenden Zusammenfassungen weitestgehend aus den jeweiligen wissenschaftlichen, journalistischen und essayistischen Texten entsprechend übersetzt oder übernommen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht erhoben.


Liste zum Download pdf


1a) Rezeption des Films „Aimée & Jaguar“ (alphabetisch)

1b) Texte zur Entstehung des Films „Aimée & Jaguar“

2a)
Filme zu Lilly Wust und Felice Schragenheim (mit Lilly Wust)

2b) Weitere Spielfilme, in denen Nationalsozialismus und Lesben eine Rolle spielen



Texte zum Film, chronologisch

1999

Bodden, Aimée & Jaguar

1999

Dischereit, Die Geschichte hinter der Geschichte von Aimée und Jaguar

1999

Dischereit, Eine preisgekrönte Liebesgeschichte

1999

Knoben, Aimée & Jaguar

1999

Laubach, Der Schatten des Holocaust im Kino der Gegenwart

1999

Seeßlen, Die Bomber und das Begehren

1999

Werneburg, Du sollst dir ein Bild machen

2000

Erhart, From Nazi whore to good German mother

2000

Kehr, In Love and Wartime Berlin

2001

Brenneisen, Aimée & Jaguar

2001

Dischereit, Aimée & Jaguar

2001

N. B. O., Von Jaguaren und Juden

2001

Parkinson, Of Death, Kitsch, and Melancholia

2001

Zimmer, Verboten Love

2002

Davidson, A Story of Faces and Intimate Spaces

2002

Janz, Ulrike, unveröff. Manuskript

2002

Koepnick, Reframing the Past

2002

Mennel, Local Funding and Global Movement

2002

Sieg, Sexual Desire an Social Transformation in Aimée & Jaguar

2002

Wende, Die Geschichte hinter der Geschichte (Erstveröff. 2002, Bezug 2007)

2003

Cormican, ‘Aimée & Jaguar’ and the Banality of Evil

2003

Koepnick, “Nochmal! Nochmal!“

2003

Reinhardt, Bi Film-Video World

2003

Sperber, Eine andere Version

2003

Taberner, ‚Wie kannst du mich lieben?‘

2004

Bartov, The „Jew“ in Cinema

2004

Hake, Film in Deutschland

2004

Heni, Ein Schlag ins Gesicht der Überlebenden

2004

Kade, Erinnerung und Pädagogik

2004

Nuy, Sandra, Erinnerungskulturen

2005

Baron, Projecting the Holocaust into the Present

2005

Boxhammer, Lesbische Spuren im Film

2005

Taberner, Philo-Semitism in Recent German Film

2006

Berghahn, Post-1990 Screen Memories

2006

Greim, More to the Story

2006

Kögel, Liebesbeweise

2006

Lizas Welt, Publikumsmagneten

2007

Bösch, Film, NS-Vergangenheit und Geschichtswissenschaft

2007

Boxhammer, Das Begehren im Blick

2007

Gelbin, Double Visions

2007

Lassner, 'Word That Can’t Be Spoken‘

2008

Guger, Frauen als Opfer der Shoah und ihre Darstellung im deutschsprachigen Spielfilm

2008

Hannemann, Streit ums Homosexuellen-Mahnmal

2008

Uvanovic/Drozdek, Aimee & Jaguar

2008

Zimmerman, Estranged bedfellows

2009

Dietrich/Nachtigall, „Was Sie schon immer über Nazis wissen wollten“

2009

Hauer, Erica Fischers „Aimée & Jaguar“

2009

Hetebrügge, Zwischen Fakten und Fiktion

2010

Goede, Die Fälscher

2010

von Mering, Searching for Justice

2011

Ebbrecht, Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis

2011

Schulz, Nationalsozialismus im Film

1a) Rezeption des Films „Aimée & Jaguar“ (alphabetisch)


Baron, Lawrence (2005): Projecting the Holocaust into the Present: the Changing Focus of Contemporary Holocaust Cinema. Lanham: Maryland, bes. Kapitel “A Doubly Doomed Love: Aimée & Jaguar“, S. 121-125.
Viele Lesben lebten ein Doppelleben: Wust wird im Film durch die Augen von Ilse, ihrer lesbischen Haushaltshilfe, skizziert, während Felice ein Doppelleben führt. Die Flucht Felices vor den Bomben der Alliierten, die sie in einen Bunker treibt, macht die Deutschen in den Augen des Publikums zu Opfern. Gleichzeitig versorgt Felice den Untergrund mit Infos über deutsche Stellungen. Felice schlägt die Ausreisechance in die Schweiz aus, weil sie Lilly nicht aufgeben will. Färberböcks Verfilmung gibt der Liebesgeschichte mehr Gewicht als dem historischen Kontext. Deshalb lässt sich die Geschichte auch lesen als das lesbische Erwachen einer unterdrückten Frau. Auszeichnungen und Ruhm spiegeln die steigende Akzeptanz lesbischer Porträts im Mainstream-Kino und erinnert an den Erfolg von Alexandra von Grotes „Novembermond“.


Bartov, Olmar (2004): The “Jew“ in Cinema. From The Golem to Don’t Touch My Holocaust. Indiana University Press, bes. S. 73f.
Es geht in „Aimée & Jaguar” nicht in erster Linie um Verfolgung und Ermordung, sondern um die unwahrscheinliche („improbable“) Liebesgeschichte zwischen einer Jüdin, die im Berlin des Zweiten Weltkrieg als „Arierin“ auftritt („passing as an Aryan“), und einer „arischen“ Mutter von vier Kindern. Felice ist das jüdische Opfer; aber auch Lillys Leben ist danach erbärmlich („wretched“), war dies doch die einzige wahre Liebe ihres Lebens. Statt eines psychologischen Dramas über eine Liebesbeziehung, die den moralischen Konventionen trotzt, hat Färberböck ein geschmackloses, triviales („vulgar“) Melodram voller Kitsch daraus gemacht, dass die Faszination des Faschismus und des Krieges nutzt (? „hijack the fascination with fascism and war“), um dem Kitsch-Bedürfnis des Publikums nachzukommen. Felice scheint sich nicht als Opfer zu fühlen; damit erleichtert sie jedoch den Deutschen, sich als Opfer zu fühlen.


Berghahn, Daniela (2006): “Post-1990 Screen Memories: How East and West German Cinema Remembers the Third Reich and the Holocaust”, in: German Life and Letters 59, 2 April 2006, S. 294–308.
Filme wie „Aimée & Jaguar“ und „Rosenstraße“ entwerfen eine Erinnerung an die Vergangenheit, die nicht länger von Schuld getragen wird, sondern von der Vorstellung einer Solidarität zwischen Juden und Deutschen.


Bodden, Andreas (1999):  „Aimée & Jaguar“, in: Sozialistsche Zeitung, Nr. 5, 4.3.1999, S. 15, online: https://www.vsp-vernetzt.de/soz/9905152.htm, Download 5/2011.
Der Film thematisiert nicht, wie sich die Menschen des Dritten Reichs zum Nationalsozialismus verhalten; der NS wirkt ein bisschen wie eine Naturkatastrophe. Das Besondere ist die Thematisierung einer lesbischen Liebesgeschichte. „Dabei entsteht der Eindruck, daß die Suche nach dem Glück alles sei, was man der faschistischen Barbarei entgegensetzen könne.“ Die Liebesgeschichte ist zwar anrührend, aber beliebig.


Bösch, Frank (2007): Film, NS-Vergangenheit und Geschichtswissenschaft. Von ‚Holocaust‘ zu ‚Der Untergang‘. Film, the National Socialist Past and Historiography. From ‚Holocaust‘ to ‚Downfall‘“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Vol. 55, Nr. 1, S. 1-32.
„Aimée & Jaguar“ und „Rosenstraße“ versprachen historische Darstellungen wahrer Geschichten und Personen und reizten damit zur Überprüfung der behaupteten Fakten. Die Filme bleiben natürlich „unterhaltende fiktionale Produkte“, können jedoch neue Fragen aufwerfen, die Historiker_innen beschäftigen und die Erinnerungskultur prägen.


Boxhammer, Ingeborg (2005/2006): Lesbische Spuren im Film. Bonn 2005/2006. Available from: Online-Projekt Lesbengeschichte. Boxhammer, Ingeborg/Leidinger, Christiane. https://www.lesbengeschichte.org/Pdfs/pdf_lesben_film_deutsch/deutsche_lesbenfilm_boxhammer_d.pdf, Download 2/2006


Boxhammer, Ingeborg (2007): Das Begehren im Blick – Streifzüge durch 100 Jahre Lesbenfilmgeschichte. Bonn 2007, bes. S. 242ff.


Brenneisen, Claudia (2001): Aimée & Jaguar. Filmheft. Hg. vom IKF im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung. Köln. Online: https://www.film-kultur.de, 4/2011.
Der Film kann die Erwartungshaltung differenzieren, die mit jüdischen Charakteren als Opfern und deutschen Charakteren als Täter rechnet. Für die Behandlung im Unterricht wird Erica Fischers Buch als „reiches Material“ zum historischen Hintergrund empfohlen. Neben einer Reihe vorformulierter Fragen liefert das Heft Filmzitate, eingestreute Hintergrundinformationen zur Situation von Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus und (kürzer) zur Situation von Homosexuellen. Produktionsnotizen werden ergänzt durch Interviews von Max Färberböck, Lilly Wust und Erica Fischer vor der Filmpremiere.


Cormican, Muriel (2003): "’Aimee und Jaguar’ and the Banality of Evil”, in: German Studies Review, Vol. 26, No. 1 (Feb., 2003), S. 105-119.
Färberböcks kommerziell erfolgreicher und sentimentaler Film verleugnet die Toten. Esther Dischereit (1999) befürchtet zu Recht, dass der Film jüdische Erfahrungen mit Nazi-Deutschland bagatellisiert. Auch für die Darstellerinnen Schrader und Köhler steht die Liebesgeschichte im Vordergrund; sie stellen ihre Rollen als etwas Besonderes heraus (Bezug Interviews auf DVD). Cormican konstatiert, Schragenheim sei im Film Opfer und Kriminelle zugleich. Sie sei manipulativ und dominant. Wusts Naivität diene zur Entschuldigung ihrer Nazi-Ideologie, die sich zu schnell auflöse. Den Grund dafür sieht Cormican in dem deutschen Bedürfnis nach erlösenden positiven Beziehungen zwischen Juden und Deutschen. Färberböck riskiert, das Opfer (Schragenheim) seiner Geschichte zu berauben und es zu Wusts Kreation zu machen. Die Begeisterung der rezipierenden Lesben verkennt, dass das Lesbischsein nicht so relevant ist wie Schragenheims Tod. Im Buch gibt Fischer Schragenheim eine eigene Stimme. Fischer untersucht die Banalität des Bösen, während der Film das Böse banalisiert. Cormican plädiert dafür, nicht nur Wusts NS-Sympathie in den Blick zu nehmen, sondern auch die Risiken, die sie auf sich nahm. Wust hat sich vor allem deshalb schuldig gemacht, weil sie sich zu wenig Gedanken gemacht hat.


Davidson, John E. (2002): A Story of Faces and Intimate Spaces: Form and History in Max Färberböck’s Aimée und Jaguar”, in: Quarterly Review of Film & Video 19 (2002), S. 323–341.
Lt. Gelbin (2007) lenkt Davidson die Aufmerksamkeit auf die Normalisierung der Vergangenheit, die durch die Art der Inszenierung erreicht wird. Mit Schuss-Gegenschuss-Einstellungen einerseits und der Verwendung langer Einstellungen mit einer kreisenden Kamera in der Sexszene andererseits unterscheidet grenzt Färberböck Geschichte als öffentliches Feld von der autonomen Privatsphäre ab. (Gelbin, 2007, S. 200)


Dietrich, Anette; Nachtigall, Andrea (2009): „,Was Sie schon immer über Nazis wissen wollten …‘ Nationalsozialismus und Geschlecht im zeitgenössischen Spielfilm“, in: Frietsch, Elke; Herkommer, Christina (Hg.): Nationalsozialismus und Geschlecht. Zur Politisierung und Ästhetisierung von Körper, „Rasse“ und Sexualität im „Dritten Reich“ und nach 1945. Bielefeld: transcript, S. 371-494, bes. S. 378.
„Aimée & Jaguar“ wird als Beispiel für die Fortführung antisemitischer Klischees herangezogen: Für die Dreharbeiten von „Rosenstraße“ wurde in einer Anzeige „arisches“ und „jüdisches“ Aussehen gesucht; in „Aimée & Jaguar“ wurde die deutsche Frau von einer blonden Schauspielerin, die jüdische von einer dunkelhaarigen dargestellt.


Dischereit, Esther (2001): “‘Aimee und Jaguar’”, in: Dies.: Mit Eichmann an der Börse: In jüdischen und anderen Angelegenheiten. Berlin: Ullstein 2001. S. 62–72.
Wahrscheinlich Reprint von 1999a.


Dischereit, Esther (1999a): Die Geschichte hinter der Geschichte von Aimée und Jaguar: Zwischen Abhängigkeit, Prostitution und Widerstand. 1999. Online: https://www.hagalil.com/archiv/99/10/jaguar.htm, Download 6/2005
Der Film verkehrt – wie im Buch – die Geschichte, in der die Gejagte zur Jägerin wird. Das Buch hatte so großen Erfolg, weil man daran zeigen konnte, dass Widerstand möglich war und geleistet worden ist. Felices Verhältnis zu Wust hat einen „deutlich prostitutiven Zug“. Die Frauenbewegung hat die Geschichte begeistert aufgenommen, weil lesbische Liebe positiv dargestellt wird, aber „Felice wurde als Jüdin getötet, nicht als Lesbe.“


Dischereit, Esther (1999b): Eine preisgekrönte Liebesgeschichte bekommt Risse – kritische Fragen zu „Aimée & Jaguar“, in: Gemeindeblatt der Synagogen-Gemeinde Köln, April 1999. Online: https://yachad.israel-live.de/01/msdold/13-Aimee.html, Download 6/2005, identisch mit 1999a.


Ebbrecht, Tobias (2011): Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis. Filmische Narrationen des Holocaust. Bielefeld: transcript, bes. S. 154f.
„Schindlers Liste“ hat in den neunziger Jahren das Prinzip der Rahmenstruktur in den Holocaust-Film eingeführt. Dies wird u. a. von „Aimée & Jaguar“ übernommen. „Nationalsozialismus und Holocaust dienen zumeist nur als historische Kulisse für Liebesgeschichten.“ Zur Erzählkonvention gehört auch, Figurenkonstellationen als Dreiecksgeschichten oder unmögliches Paar zu inszenieren, wobei der Konflikt zwischen Täter und Opfer zum Thema gemacht wird.


Erhart, Julia (2000/2007): From Nazi whore to good German mother: revisiting resistance in the Holocaust film”, in: Stacey, Jackie; Street, Sarah (Hg.): Queer Screen: A Screen Reader. London New York, S. 146-162.
Erstveröffentlichung 2000 in „Screen“ vor Spielfilm-Release, ausführliche Huldigung von „Novembermond“, der als einzige Produktion den Holocaust aus lesbischer Perspektive zeige. Die Unsichtbarkeit der Lesben spricht für ihre Existenz, das Nicht-Sehen ist faschistisch. Der Widerstand manifestiert sich in den Bemühungen, unentdeckt zu bleiben. Stellenweise wird als Vergleichsmoment die Doku „Love Story“ herangezogen, in der Logik beider Filme schließen Faschismus und Homosexualität sich gegenseitig aus. Wust erscheint als gespaltene Figur; sie ist sowohl faschistisch als auch nicht-faschistisch. Es geht um faschistische Identität und um Sichtbarkeit von Lesben: Unsichtbarkeit ist ein zentraler Zug von Homophobie, die gleichzeitig in beiden Filmen strategisch genutzt wird. In „Novembermond“ und „Love Story“ imitieren nicht die Jüdinnen, sondern die Nicht-Jüdinnen (Lilly und Férial) eine andere, nämlich angepasst heterosexuelle Identität.


Gelbin, Cathy S. (2007): Double Visions: Queer Femininity and Holocaust Film from Ostatni Etap to Aimée & Jaguar”, in: Women in German Yearbook 23 (2007), S. 179-204. https://muse.jhu.edu/journals/women_in_german_yearbook/v023/23.1gelbin.pdf, (Download 3/2010)
„Sophie’s Choice“ und „Schindlers Liste“ sind auch in die Kritik geraten, weil sie den Holocaust mittels weiblicher Protagonisten sexualisiert und trivialisiert haben. Nach Laura Mulvey wird der weibliche Körper als Fetisch inszeniert. Die phallische Lesbe vereitelt den voyeuristischen Männerzugriff und lenkt die Identifikationsmöglichkeiten. In vielen Filmen wurde den Aufseherinnen und Kapos eine queere Note verliehen. Umgekehrt wurde in anderen Produktionen Nazi-Symbolik als erotischer Kick verwendet. Dies führt zu offen queeren Darstellungen, aber auch zu Susan Sontags Hinweis auf den „seductive fascism“. Zwei Regisseurinnen, Liliana Cavani mit „Der Nachtportier“ und Lina Wertmüller mit „Sieben Schönheiten“, konstruieren Heterosexualität als eine faschistische Konstellation von Unterwerfung und Vergnügen. Beide untergraben die konventionelle Geschlechtsrollenzuweisung von männlicher Dominanz und weiblicher Unterwerfung. „Der Nachtportier“ muss im Kontext der feministischen und queeren Debatten der Siebziger gelesen werden, nach denen SM Machtverhältnisse spielerisch ausloten oder aufdecken könne. Unter lesbisch-feministischen Gesichtspunkten untersucht Gelbin „Sophie’s Choice“, 1979 und „Playing for Time“, 1980. Die lesbisch-feministische Perspektive hat Frauen als Täterinnen grundsätzlich ausgeschlossen, Beispiel dafür: „Rosenstraße“ und „Vier Minuten“. Deutsche Feministinnen haben es geschafft, für Frauen eine Kategorie jenseits von Tätern oder Opfern zu konstruieren. Inspiriert von der Frauensolidarität in sozialistischen Filmen inszenieren feministische Filme Nationalsozialismus aus Frauensicht.
Während frühere Filme queere Symbole („queer figure“) als Störstrategie einsetzen, relativieren feministische Filme die Rollen der Frauen als Mitläuferinnen. Beispiel: Cavanis „Leidenschaften“, Grotes „Novembermond“ und Färberböcks „Aimée & Jaguar“. Cavani inszeniert eine sadomasochistische Affäre zwischen zwei Frauen als ambivalenten Diskurs über das Anderssein („otherness“) der Lesbe. Grote kehrt zur romantischen Liebe zurück, in der November die Rolle als masochistische und passive Jüdin übernimmt. Hier wird der Nazismus als Kulminationspunkt des Patriarchats inszeniert. Um die Lesbe zu normalisieren, greift Grote auf alte Muster von Geschlecht und weiblicher Sexualität zurück. Auch bei Färberböck findet Gelbin ein sadomasochistisches Muster in der Beziehung zwischen Felice und Lilly. Felices Coming out als Jüdin zwingt sie in die Abhängigkeit von Lilly. Umgekehrt zwingt Felices aktive Kontrollinstanz Wust/die Deutschen in eine Opferrolle. Färberböcks Film konstruiert eine allgemeine Kategorie von Frauen jenseits der Nazi-Ideologie. Seine Lesben verwandeln historische  Trennlinien („historical racial divides“) in eine queere Utopie: Felices Freundinnen vermitteln postmoderne Geschlechtsidentitäten. Während frühere Holocaustfilme queer women mit Komplizenschaft assoziieren oder an den Rand der Erzählung drängen, zeigen lesbisch-feministische Filme queere Charaktere als Opfer oder rücken sie ins Zentrum des Diskurses. Mitläuferinnen werden normalisiert und entlastet, während Täterinnen aus dem Blick verloren oder als Marginalie behandelt werden.


Goede, Rianne Mirjam de (2010): Die Fälscher: Ein Angriff auf seriöse Holocaust-Geschichtsschreibung? Oder: Darf der Holocaust als dramatisches Moment für eine spannende Kinogeschichte funktionalisiert werden? Rijksuniversiteit Groningen, bes. S. 27f. Online: https://scripties.let.eldoc.ub.rug.nl/FILES/root/Master/DoorstroomMasters/DuitseTaalenCultuur/2009/Goede.R.M.de./MA-1456652-R.M.deGoede.pdf; Download 3/2010
Drei Tendenzen sind in der Entwicklung des „Holocaust-Films“ seit den neunziger Jahren zu beobachten: 1. Sinnentleertes Zitieren des Holocaust in Nicht-Holocaust-Filmen, 2. ausgeweiteter Blick auf weitere Opfergruppen und 3. die Erweiterung des Genres durch die Filmkomödie. „Aimée & Jaguar“ und „Bent“  handeln von Homosexuellen und zeigen damit eine nicht ausschließlich jüdische Opfergruppe.


Greim, Katrin (2006): “More to the Story: Discursive Violence in Aimée and Jaguar”, in: Gender forum, Imagendering II 13(2006). Online: https://www.genderforum.uni-koeln.de/, Download 7/2007
Weil Fischers Text auf Archivdokumenten beruht, ist er näher an der gelebten Realität als der Film, der den Holocaust als interessante Kulisse für eine lesbische Liebesgeschichte reduziert. Buch und Film ignorieren beide Verfolgung Homosexueller durch die Nazis, Bezug auf Parkinsons Kritik (2001) an FrauenLesben-Rezeption. Bezug auf Zimmer: Greim bestätigt Beobachtung, dass Film nur die Juden als Verfolgte fokussiert. Felice verkörpert die „racial“ und gleichzeitig die unmoralische Verunreinigung durch ihre „ethinicity“ und durch ihre Sexualität. Lesbischsein kann hier gelesen werden als Widerstand gegen Nationalismus und Nation. Lillys Wandel vom Antisemitismus zum Philosemitismus folgt ihrer Konversion zum Lesbischsein. In einem typisch westlichen Coming out findet sie ihr wahres Ich in ihrer Vergangenheit, als sie bereits einmal in ihre Lehrerin verliebt war und als sich jüdische Spuren in ihrer Familie finden lassen. Lilly steht für ganz Deutschland: Ihr Nichtwissen („not knowing“) wurde nach dem Krieg endlos von Deutschen wiederholt. Lillys Verhalten führt in Anlehnung an Parkinson zum kannibalistischen Einverleiben von Felices Person.


Guger, Astrid (2008): „Frauen als Opfer der Shoah und ihre Darstellung im deutschsprachigen Spielfilm“. Wien (Diplomarbeit). Online: https://othes.univie.ac.at/378/1/01-15-2008_0102319.pdf, Download 3/2010
Der Film „Aimée & Jaguar“ fokussiert Frauen im Nationalsozialismus und Frauen als NS-Opfer. Antisemitismus und Geschlecht stehen miteinander im Zusammenhang. Der Film gibt – anders als das Buch – sowohl Aimée als auch Jaguar eine Stimme. In den ersten 60 Minuten dominiert Felices Leben. Sie wird als Jüdin verfolgt, nicht als Lesbe, aber ihre lesbischen Freundinnen stärken ihren Charakter. Hier wird ein attraktives „role model“ für Frauen geschaffen. Während alle anderen Frauen um Felice zum Opfer werden, wird sie als besonders starke Frau gezeichnet, die immer Rat weiß und die anderen stets beschützt. Ihr Kosename „Jaguar“ symbolisiert ebenfalls Stärke. Das steht im Kontrast zu ihrer Rolle als verfolgte Jüdin, die aber ganz und gar nicht wehrlos ist. Sie ist dunkelhaarig, stereotyp verführerisch, raucht, trägt Hosen. Nach der ersten sexuellen Begegnung der beiden Protagonistinnen wendet sich das Blatt und Lilly wird zu Felices Beschützerin, woraufhin Felice nun femininere Kleidung trägt und verletzlicher wirkt. Im Film emigriert Felice nicht wegen Lilly, das jedoch passt nicht zu den Zweifeln Elenai Predski-Kramers an der Tiefe dieser Liebe. Der Film setzt sich mehr mit Lillys Mitläuferinnentum auseinander, das Täter-Opfer-Bild verwischt.


Hake, Sabine (2004): Film in Deutschland. Geschichte und Geschichten seit 1895. Reinbek: Rowohlt (engl. Originalfassung 2002), bes. Kapitel „Noch einmal: die Bewältigung der Vergangenheit(en)“, S. 320-331.
In den neunziger Jahren werden die Bilder der Vergangenheitsbewältigung konventioneller. Filme über den Holocaust zeigen ein intensives Interesse an der jüdischen Kultur und offenbaren „fast sehnsüchtige Bilder des Jüdischen“. Die symbolische Versöhnung zwischen Deutschen und Juden findet ihren Ausdruck besonders in romantischer Liebe. „Aimée & Jaguar“ führt den von Joseph Vilsmaier (z. B. „Stalingrad“, „Comedian Harmonists“, später „Marlene“) manifestierten Trend fort, politische Fragen auf Hintergrundeffekte zu reduzieren.

Hannemann, Matthias (2008): Streit ums Homosexuellen-Mahnmal: Szenelokalverbot gleich Konzentrationslager?“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.6.2008. Online: https://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~ECB45401DBBA848FA870453A4E2D5F531~ATpl~Ecommon~Scontent.html, Download 3/2010.
Mit Blick auf den Streit ums Homosexuellen-Mahnmal in Berlin kritisiert Hannemann die Gleichstellung lesbischer Verfolgung mit schwuler. Seiner Ansicht nach wird am Beispiel des Films „Aimée & Jaguar“ deutlich, wie die Vermischung von Historie betrieben wird, so dass der „Sinn für Details“ verloren geht und alles relativiert, also abgeschwächt wird: Wurde Schragenheim verhaftet, weil sie Jüdin oder weil sie lesbisch war?


Hauer, Gudrun (2009): „Erica Fischers ‚Aimée & Jaguar‘: eine Analyse ausgewählter Beispiele der Rezeptionsgeschichte“, in: Frietsch, Elke; Herkommer, Christina (Hg.): Nationalsozialismus und Geschlecht. Zur Politisierung und Ästhetisierung von Körper, „Rasse“ und Sexualität im „Dritten Reich“ und nach 1945. Bielefeld: transcript, S. 395-411.
Hauer weist in der Rezeptionsgeschichte des Fischer-Buches darauf hin, dass die Tatsache, dass weibliche Homosexualität nicht unter Strafe stand, in den Meta-Texten nicht hinterfragt wird. Sie weist dem Internet eine besondere Rolle zu, ohne das die Texte von Dischereit und Sperber sicher nicht so breit diskutiert worden wären. Kritik wird vor allem an der Vermarktung des Films geäußert; das „Lesbische“ und das „Jüdische“ scheinen sich als Identifikationsangebote gegenüberzustehen. Mit Sieg argumentiert Hauer, dass aufgrund der fehlenden Erläuterung der Homosexualitätspolitik bei Fischer das Lesbische völlig dem Bereich des Privaten zugeordnet wird. Die Protagonistin wird in den Texten unterschiedlich bewertet: Für die einen ist Wust eine stille Heldin, die untergetauchte Jüdinnen versteckte; für die anderen ist sie eine Verräterin, die Schragenheim aus Habgier an die Gestapo verraten hat, und somit eine Mitschuldige. Beide Interpretationen verfehlen nach Hauer den Kern: Wust hat aus „privaten“, persönlichen Gründen Widerstand geleistet, nicht aus politischen. Die Geschichte der beiden Frauen und deren unterschiedliche Lesart machen bestimmte Tabus sichtbar: das ungebrochene Weiterwirken des Homosexualitätstabus, hier, indem das Lesbische bagatellisiert und verleugnet wird, wenn z. B. Schragenheim letztlich Prostitution unterstellt wird. Ein anderes Tabu ist die Beziehung zwischen einer Nationalsozialistin und einer Jüdin. Zudem verstößt die Geschichte gegen die Annahme, es sei kein persönliches Glück möglich gewesen, so als sei dies obszön. Ferner erscheint es in der Rezeption so, als ob die ausschließliche Konzentration auf Liebe, Erotik, Sexualität zwischen Frauen etwas ausschließlich „Privates“ wäre, als sei der Umgang damit von gesellschaftlichen Faktoren unabhängig. Dies zeigt u. a., dass immer noch grundlegendes Wissen über Lesben in der NS-Zeit fehlt, und stellt außerdem die Frage, wem die Deutungshoheit der Geschichte obliegt.


Heni, Clemens (2004): Ein Schlag ins Gesicht der Überlebenden: Eine retrospektive Kritik an „Aimée & Jaguar“. Online: https://www.hagalil.com/archiv/2004/04/fischer.htm, Download 3/2010
Die deutsche Selbstversöhnungsrhetorik hat mit dem Film 1999 einen weiteren Höhepunkt erreicht. Die Vermarktung als Liebesgeschichte verhindert den Blick darauf, dass diese Verbindung für Schragenheim die einzige Überlebensmöglichkeit darstellte. Er gibt Esther Dischereit recht und weist darauf hin, dass Elenai Predski-Kramer als Überlebende ihre Version der Geschichte präsentiert hat. Der Film ist daher nur ein weiterer Fall von „Verwertung jüdischen Lebens“, der „infam an der Wahrheit vorbei schrammt“. Heni drückt seinen Ärger darüber aus, dass der Film in sozusagen jedem x-beliebigen FrauenLesbenreferat gezeigt wird und immer wieder im Fernsehen läuft – für ihn ist das Ausdruck der konstitutiven Stilisierung der Linke[n] in der BRD bzw. Österreich“ zur Opfergruppe. Parkinsons These (2001), Lilly habe sich aus melancholischen Gründen nach der Deportation Felices selbst zur Jüdin gemacht, ist falsch, denn Lilly trägt die Verantwortung für Felices Tod. Der Film hat einen arisch-deutschen Fokus. Parkinson gleiche nicht aus, sondern schlage sich letztendlich auf die Seite der Siegerin, auf Wusts.


Hetebrügge, Jörn (2009): Zwischen Fakten und Fiktion: historische Spielfilme zum Nationalsozialismus, 26.03.2009 , online: https://www.kinofenster.de/filmeundthemen/archivmonatsausgaben/kf0904/zwischen_fakten_und_fiktion_historische_spielfilme_zum_nationalsozialismus/, Download 3/2010
Kurze Erwähnung im Kontext vieler Filme: Holocaust als populäres Erzählkino, das den Regeln der Dramaturgie folgt


Janz, Ulrike (ca. 2002): o. T., unveröff. Manuskript, zur Verfügung gestellt 1/2007.
Buch und Film prägen das Wissen über Lesben im Nationalsozialismus. Janz stimmt Dischereit zu, dass Lesben diese Geschichte vermutlich gern als positives Geschichtseigentum reklamieren. Dabei spricht Dischereit nicht von Lesben, sondern von der Frauenbewegung, die sie hier mit Lesben gleichsetzt. Lilly Wust ist nach Janz aber mindestens als „zwiespältige Ahnin“ einzuschätzen.


Kade, Jochen (2004): Erinnerung und Pädagogik. Darstellungsformen des Holocaust im Spielfilm“, in: Wolfgang Meseth, Matthias Proske, Frank-Olaf Radtke (Hg.): Schule und Nationalsozialismus. Anspruch und Grenzen des Geschichtsunterrichts. Frankfurt/Main: Campus, S. 65-94.
„Das Leben ist schön“, „Aimée & Jaguar“ und „Der Pianist“ als neuer Typ der filmischen Thematisierung des Holocaust, bei dem Juden nicht mehr vornehmlich als wehrlose Opfer dargestellt werden. Felice bewegt sich frei, angstfrei und ungezwungen in einer vom NS bestimmten Öffentlichkeit. Sie gerät ins Visier der Gestapo, als Lilly sich als Lesbe outet und sich von ihrem Mann trennt. Die Rahmenhandlung des Films (Lilly und Ilse begegnen sich im Altersheim) stellt den Bezug zur Gegenwart des Films her und formuliert die Bedeutung des Gesehenen: Lerne aus der Geschichte.


Kehr, David (2000): In Love and Wartime Berlin, And Defying Understanding”, in: New York Times, 11.8. 2000, online: https://movies.nytimes.com/movie/review?res=9A0DE4DB173FF932A2575BC0A9669C8B63, 4/2011.
Färberböcks Verfilmung ist zu oberflächlich, Ausstattung und Szenario wie bei Filmen über diese Zeit eben üblich. Felice verführt Lilly – zumindest ist das der Auslöser –, weil diese so sehr die Nazi-Ideologie verkörpert. Färberböck hätte sich auch der Idee, Sex als Rache widmen können. Wenigstens hat Färberböck auf die typischen Lagerszenen verzichtet.


Knoben, Martina (1999): „Aimée & Jaguar“, in: epd film 2, Februar 1999.
Dem Zuschauer (sic!) erscheint die Liebe zwischen Felice und Lilly so zwangsläufig, „daß die Tatsache, daß sich hier zwei Frauen lieben, die Sinnlichkeit nicht stört“. Dem wird „Rumpel-Sex der Männer“ gegenübergestellt. „Die Menschen leben anders, weil sie wissen, daß sie jeden Moment sterben können.“


Kögel, Annette (2006): „Liebesbeweise“, in: Der Tagesspiegel, 12.9.2006, online: https://www.tagesspiegel.de/berlin/liebesbeweise/750822.html, 4/2011.
Anlässlich des fünften Geburtstages des Jüdischen Museums wird der Nachlass der kurz zuvor verstorbenen Lilly Wust präsentiert. „Es sind Originaldokumente, die die Beziehung zwischen der „Arierin“ und vierfachen Mutter Elisabeth und der Jüdin Felice unvergessen machen – eine lesbische Liebe, die nur ein gutes Jahr währen durfte, weil die Nazis Felice im Versteck bei Lilly fanden und sie wie Millionen andere Juden umbrachten.“


Koepnick, Lutz (2002/2003): Reframing the Past: Heritage Cinema and Holocaust in the 1990s“, in: New German Critique, No. 87, Special Issue on Postwall Cinema (Autumn, 2002, published 2003), S. 47-82.
In großen Teilen identisch mit Abschnitten von 2003: Die Affäre von „Aimée & Jaguar“ überdauert den Krieg nicht, trotzdem wird sie im Film als große Liebesgeschichte gefeiert, stellt Formen deutsch-jüdischer Solidarität dar und liefert dem zeitgenössischen Publikum eine emotionale Identifikationsmöglichkeit. Die von Wust gemachten Bilder nehmen im Film eine zentrale Rolle ein: Sie scheinen dem Publikum einen Blick, einen direkten Zugang zur Vergangenheit zu gewähren, so dass beide Welten (damals und heute) zu einer werden. Statt die Unterschiede des Heute und Gestern zu erforschen, bricht der Unterschied zusammen und legt eine Verbindung nahe, „commend natural affinity“. Der Film ist Teil einer großen Anzahl massenmedialer Erinnerungen der Neunziger, die sich einerseits mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und andererseits mit der Geschichte der Juden beschäftigen. In vielen Filmen triumphiert die deutsch-jüdische Liebe. „Aimée & Jaguar“ offeriert eine machtvolle deutsch-jüdische Symbiose und ermutigt das deutsche Publikum, sich mit der Vergangenheit auszusöhnen. Schragenheim wird als lebenslustige und strategisch-clevere Nutznießerin des Regimes dargestellt. Maria Schrader, Darstellerin der Felice, wird mit Ferdinand Marian aus dem antisemitischen Propagandafilm „Jud Süß“ verglichen: Auch sie ist eine verführerische Gegenspielerin.


Koepnick, Lutz (2003): „,Nochmal! Nochmal!‘ Erpresstes Lachen im deutsch-jüdischen Melodram der Gegenwart“, in: Frölich, Margrit; Loewy, Hanno; Steinert, Heinz (Hg.): Lachen über Hitler – Auschwitz –Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust. München: edition text und kritik,  S. 315-334.
Das Lachen im Melodram „Aimée & Jaguar“ dient zur Versöhnung der ungleichen Erfahrungen von Juden und Nicht-Juden. Ferdinand Marian, Nicht-Jude, spielt in „Jud Süß“ einen Juden, der sich als Nichtjude „maskiert“. Das Lachen Maria Schraders als Schragenheim (Felices Lebenslust kurz vor der Deportation) wiederholt Marians Zwiespältigkeit. Während Lilly Felice draußen am See fotografiert, wenden sie sich lachend vom Holocaust ab und signalisieren emotionale Solidarität, der sich das Publikum anschließen kann. Aber die letzten Bilder des Films zeigen auch die projektive Paranoia des Gegenwartsfilms: Lilly hat als Fotografin die Macht über das Bild von Felice – auch die Macht über die Weitergabe ihres Bildes an eine deutsche Nachkriegsöffentlichkeit. Das gemeinsame Lachen der beiden Frauen reicht Färberböck, um Lilly zum Sprachrohr von Felices Schicksal zu machen. Das Lachen bei Färberböck dient hier als Erinnerung an eine Geschichte, wie sie sich nicht zugetragen hat: „Felices Lachen ist erpresst, um die deutsche Geschichte von dem Schatten der jüdischen Opfer zu befreien“. Das deutsche populäre Genrekino orientiert sich außerdem an Hollywood-Erzähltechniken, um einen eigenen sogenannten „heritage-Film“ (britische Filme, die sich mit früheren Werten und Strukturen befassen) zu schaffen. Felices Lachen ist konstitutiv für die Verwandlung des deutschen Gegenwartskinos in ein Erbe- und Erlebniskino.


Lassner, Phyllis (2007): “’Words That Can’t Be Spoken’: Lesbian Love in the Third Reich”, in: Hipkins, Danielle; Plain, Gill (Hg.): War-Torn Tales: Literature, Film and Gender in the Aftermath of World War II, Bern: Peter Lang AG, S. 257-276.
Der Färberböck-Film wird nur kurz erwähnt; der Fokus liegt auf dem Buch von Erica Fischer. Fischer differenziere zwischen den Kriegserlebnissen der Juden und Jüdinnen und der Deutschen. Das Buch will zwar Felices Geschichte erzählen, rückt aber immer mehr Lillys Leben in den Vordergrund und Fischer selbst wird zu einer zentralen Gestalt des Geschehens. Die Informationen aus dem Buch inszenieren Eifersucht, Konkurrenz, häufig wechselnde Partnerinnen und Wohnungen als typisch für die lesbische „Szene“ der vierziger Jahre. Dem gegenüber steht Felices Einlassen auf Lilly, wie sich in Felices Briefen nachlesen lässt. Andere frühere Texte von ihr belegen ihre Angst vor den Nazis. Färberböck folgt dem Buch, lässt aber jede Reflektion vermissen und inszeniert Felice als selbstbewusst und auch als verletzlich. Aufgrund von Felices Bedürfnissen nach sexuellen Abenteuern bleibt fraglich, ob die Beziehung zwischen den beiden Frauen weiter bestanden hätte; im Gegensatz zu Felice wird Lilly als treu über den Tod hinaus beschrieben.


Laubach, Thomas (1999): Der Schatten des Holocaust im Kino der Gegenwart. ‚Aimée und Jaguar‘ und der Zeitgeist“, in: forum medienethik, 1 Jg. 1999, S. 51-60.
Anhand von „Aimée & Jaguar“ werden Aspekte einer „Zeitgeistigkeit“ aufgezeigt, die sich bspw. in der Weigerung niederschlägt, Bilder des Holocaust zu zeigen. Der Faschismus korrumpiert Lillys Erinnerungen und lässt sie ihre Beziehung zu Felice zur großen Liebe stilisieren. Der Film ist an den „politischen Implikationen“ nur am Rande interessiert und bemüht sich mehr um die Menschen im Berlin der letzten Kriegsjahre. Dabei erscheint der Nationalsozialismus als unabwendbare Naturkatastrophe; die „Szenerie“ erhält „den Anstrich eines Abenteuerfilms“, in dem es sich „richtig“ zu verhalten gilt. Die Solidarität der lesbischen Gemeinschaft erscheint „als praktikable Tugend des privaten Lebens“. Der Nationalsozialismus lebte vom Wegschauen, deshalb wird auch Lottes Ermordung nicht genauer beobachtet. Zwar „verschweigt“ der Film die gewohnten Klischees und Bilder, entpolitisiert jedoch Geschichte zugunsten „griffiger filmischer Wirkungen“. Die Geschichte von Lilly und Felice zeigt, dass ein richtiges Leben im falschen nicht möglich ist, ein glückliches Leben im Schatten des Holocaust nicht gelingen kann.


Lizas Welt (2006): Publikumsmagneten, online: https://www.lizaswelt.net/2006/09/publikumsmagneten.html, Download 4/2010
Text anlässlich des fünften Geburtstags des Jüdischen Museums in Berlin und dessen Veröffentlichung von Lilly Wusts Nachlass. Rekurs auf Dischereit (1999)  und Sperber (2003), Diskussion von Parkinson (2001), Wiederabdruck des Textes von Clemens Heni (2004).


Mennel, Barbara (2002): Local Funding and Global Movement: Minority Women’s Filmmaking and the German Film Landscape of the Late 1990s”, in: Joeres, Ruth-Ellen B.; Herminghouse, Patricia A. (Hg.): Women in German Yearbook. Feminist Studies in German Literature and Culture, Vol. 18, University of Nebraska, S. 45-66.
Mennel skizziert die Lage der Frauenbewegungsfilme in den Neunzigern mit Schwerpunkt auf Angelina Maccarone. „Aimée & Jaguar“-Film erzählt die „real-life story“ einer jüdischen Untergrundkämpferin und einer „German Hausfrau“. Sowohl Fischer-Buch als auch Clay-Doku ("Love Story, Berlin 1943") porträtieren die historischen Ereignisse mit Schwerpunkt auf das lesbische Begehren und das jüdische Überleben: Färberböck rahmt die Geschichte mit Bezugspunkten zur deutschen Nation („German Nation“)  und setzt sie in Bezug zur deutschen Schuld und zum Holocaust-Gedächtnis. Mennel sieht im internationalen Erfolg des Films eine wichtige Veränderung der Behandlung von Feminismus, Lesben und großstädtischer Subkultur.


N. B. O. (2001): Von Jaguaren und Juden. Der Holocaust im zeitgenössischen Spielfilm“, in: Nachrichtenblatt des Jüdischen Museums in Berlin. Online: https://www.antisemitismus.net/ns-vergangenheit/film.htm, Download 3/2010
Filmindustrie ist profitorientiert und dazu gehören leicht identifizierbare Filmfiguren, die rassistische Stereotypen verstärken können: Aimèe ist – wie der Name schon sagt – von allen geliebt, naiv und passiv. Jaguar erscheint als Tier und ist genauso gefährlich (aggressiv, exotisch) für Wust wie Juden in der Ideologie der NS für Deutsche. Mahnendes Wort des Autors/der Autorin: „Lasst Jaguare bitte Jaguare bleiben und Juden Juden“.


Nuy, Sandra (2004): Erinnerungskulturen. Über das Gedenken an die Shoah durch den Film“, in: Baringhorst, Sigrid; Broer, Ingo (Hg.): Grenzgänge(r). Politik. Religion. Kultur. Festschrift für Gerhard Hufnagel, Siegen: Siegener Universitätsverlag, S. 301-312.
nur kurze Erwähnung: Auschwitz als medialer Trendsetter, ‚wahre‘ Ereignisse in der Kulisse des NS, wie z. B. „Comedian Harmonists“ und „Aimée & Jaguar“, Filmproduzenten ignorieren Diskussionen, als hätte es nie welche „um die Wirklichkeitskonstruktion medialer Erinnerung“ gegeben


Parkinson, Anna M. (2001): Of Death, Kitsch, and Melancholia. Aimée und Jaguar: ‘Eine Liebesgeschichte, Berlin 1943‘ or ‘Eine Liebe größer als der Tod?‘“, in: Schmitz, Helmut (Hg.): German Culture and the Uncomfortable Past. Representations of National Socialism in Contemporary Germanic Literature (= Warwick Studies in the Humanities), Aldershot u. a.: Ashgate 2001, S. 143-163.
Fischer hat versäumt, sich über die Situation von Lesben in der fraglichen Zeit zu informieren und stellt Lesbischsein als narzisstische Gemeinschaft von Frauen dar. Alle im Buch festgehaltenen Zeugnisse stammen von heterosexuellen Personen, die lesbische Sexualität als abnorme („aberrant“) Form der Sexualität ansehen, als verständlich in einer Zeit, in der Männermangel herrscht. Die wenigen Liebesszenen beschreibt Fischer trivial („discourse of pulp fiction“). Fischers psychoanalytisches Verständnis von Lesbischsein setzt diese Sexualität mit einer Abhängigkeit („attachment“) vom Körper der Mutter gleich. Lilly wird im Buch und im Film als sentimental (Kitsch) und melancholisch (Melancholia) inszeniert; der Film folgt nur ihr und der Liebesgeschichte und lässt Felice verschwinden. Deutsch und Opfer als einander ausschließende Begriffe. Wust verhält sich nach dem Mitscherlich-Modell (Die Unfähigkeit zu trauern). Um sich vom NS distanzieren zu können, muss Wust sich die Identität von Schragenheim aneignen und jüdisch werden. Parkinson vermischt Buch und Film stark.


Reinhardt, Regina (2003): "Bi Film-Video World. Aimee & Jaguar”, in: Journal of Bisexuality, Vol. 3, Issue 1 January 2003, S. 119 – 122.
Lesben und Bisexuelle werden selten in Nazifilmen behandelt. Wust wird hier als Deutsche und Bisexuelle beschrieben, Schragenheim als Jüdin und Lesbe. Wust ist blind („oblivious“) gegenüber der politischen Situation und gegenüber der Situation von Juden.


Schulz, Sonja M. (2011): Der Nationalsozialismus im Film: Von Triumph des Willens bis Inglourious Basterds (= Deep Focus 13). Berlin: Bertz + Fischer.
Versuch einer Gesamtdarstellung der Filme über den Nationalsozialismus von 1933 bis 2010. Im Erscheinen.


Seeßlen, Georg (1999): „Die Bomber und das Begehren“, in: Die Zeit, 11.2.1999., online: https://www.getidan.de/film/georg_seesslen/2774/aimee-jaguar, Download 3/2010
Inszenierung, Darstellung und Charakterzeichnung in „Aimée & Jaguar“ geben Raum für Zweifel an der großen Liebe, lassen jedoch keinen Perspektivwechsel zu.


Sieg, Katrin (2002): Sexual Desire and Social Transformation in Aimée & Jaguar”, in: Signs 28/1 (Autumn 2002), S. 303–331.
Der Film wird als tragische Liebesgeschichte beworben und betont vor dem Hintergrund antifaschistischen Widerstands die Unterschiede sexueller und „rassischer“ Identitäten im NS-Staat. Die Liebe wird zur Grundlage für die Identifikation des Publikums mit den Opfern. Färberböcks Film und Fischers Buch geben unterschiedliche Antworten darauf, ob Liebe Fremdenhass aushebeln kann oder Teil davon ist. Sieg schlägt eine alternative Lesart von Wusts und Schragenheims Beziehung vor, ohne Lesben und Jüdinnen als Antagonistinnen zu konstruieren: Die Story muss auf die soziale und politische Bedeutung des Sexuellen untersucht werden.
Für Buch und Film gilt: Maskerade und Passing ist für Jüdinnen wie für Lesben möglich. Sie können sich hinter einer anderen Identität verstecken, bei dieser Maskerade hat Schragenheim gegenüber Wust ihr Coming out als Jüdin, Wust ihr Coming out als Lesbe. Schragenheims Coming out löst positive Gefühle und Unterstützung aus, Wusts Coming out wird sowohl im Buch als auch im Film als gefährdend inszeniert. Der Film legt nahe, dass die Geheimhaltung lesbischen Begehrens mehr Sicherheit gewährleistet hätte, das Buch weckt Zweifel an Wusts Vertrauenswürdigkeit. Sie wird mit einer üblen Nazi-Spionin verglichen: Die Liebe zu einer Jüdin bedeutet nicht, gegenüber verfolgten Juden im Allgemeinen loyal zu sein oder politisch auf ihrer Seite zu stehen. Maria Schraders Äußeres verneint und bestätigt gleichzeitig ethnische Differenzen („stereotypical portrayal of Jewishness by Maria Schrader“). Rückgriff auf These von Teresa de Lauretis (1994): Frauen sind unfähig zwischen einem Begehren, das sich auf die Frau bezieht, und dem Begehren, diese Frau zu sein, zu unterscheiden. Daher verleibt Wust sich die Identität der anderen Frau ein. Der Film verurteilt Wust mehr als das Buch. Lesbischsein wird besonders im Buch als Privatsache behandelt. Fischer hat die sexuelle Rolle Wusts falsch verstanden, sie hatte ihr Coming out als „femme“. Fischers Grenzziehung zwischen Wust und Schragenheim offenbart ihre Unfähigkeit, sich eine grenzüberschreitende Allianz und eine Transformation vorzustellen. Der Film inszeniert die deutsche Ausnahmeheldin und erlaubt, lesbisches Begehren zu historisieren.


Sperber, Katharina (2003): „Eine andere Version: ‚Schmerzhafte Erinnerungen einer Überlebenden‘“, in: Frankfurter Rundschau, 7.1.2003, online: https://www.berlin-judentum.de/frauen/predski.htm, Download 6/2005
Sperber referiert die Kritik von Elenai Predski-Kramer, die mit der im KZ umgekommenen Felice Schragenheim befreundet war: Der Film zeige Felices Freundeskreis als zänkische und partysüchtige Lesben, Fischer habe nach dem Gespräch mit Predski-Kramer belanglose Episoden ins Buch eingefügt, den Gesamttenor jedoch nicht verändert. Schragenheim habe die Situation damals falsch eingeschätzt, nämlich unterschätzt. Predski-Kramer, „die damals selbst einer Frau zugetan war“, sieht Gründe für solche Beziehungen in der damaligen Situation: Die Männer waren im Krieg, jüdische Männer auf der Flucht. Die Frauen hatten Angst schwanger zu werden. Elenai Predski-Kramer legt nahe, dass Wust Schragenheim selbst an die Gestapo verraten haben könnte, denn Schragenheims Tod ermöglichte Wust, „sich die Interpretationshoheit über die Geschichte zu greifen und zu vermarkten“.


Taberner, Stuart (2003): ”'Wie Kannst Du Mich Lieben?’: ‘Normalizing' the Relationship between Germans and Jews in the 1990s Films Aimée Und Jaguar and Meschugge”, in: Niven, William; Jordan, James (Hg.): Politics and Culture in Twentieth-Century Germany. Studies in German Literature, Linguistics, and Culture. Rochester New York: Camden House, S. 227-243.
„Aimee & Jaguar“ inszeniert eine alltägliche Liebesgeschichte in außergewöhnlichen Zeiten. Die Darstellung zeigt eine vermarktbare moderne Homosexualität („marketing of a stylish homosexuality“) wie in „Der bewegte Mann“. Der Film bietet eine bequeme Distanzierungsmöglichkeit, so dass das Publikum nicht darüber nachdenken muss, wie es sich selbst verhalten hätte. So vollzieht sich eine Historisierung: Es ist vergangen, vorbei. Teil dieser Historisierung ist die Schaffung einer Sympathie für die gewöhnlichen Deutschen („ordinary Germans“). Die stereotype Darstellung der Gestapo markiert sie sofort als Feinde des Liebespaares. So symbolisiert die Gestapo das konventionelle Gesicht Nazi-Deutschlands, nicht jedoch die restliche Bevölkerung. Das Glück zwischen Lilly und Felice wird idyllisch inszeniert und repräsentiert deutsch-jüdische Symbiose, die sich als Illusion entpuppt. Die Tatsache, dass Lillys Geschichte und nicht Felices weiter verfolgt wird, zeigt, wie die Deutschen sich entschieden haben, die deutsch-jüdische Liebesgeschichte zu erinnern. In der Rückschau Lillys in der Rahmenhandlung des Films erscheint die Kriegs- und Nazizeit als Selbstfindungszeit voller Nostalgie. Lillys fehlender Teil, die Jüdin Felice, wird zum Fetischobjekt auch für das deutsche Publikum, das zusammen mit Lilly oder durch Lilly das Opfersein annimmt. Der 1990er Rahmen des Films zeigt, dass Normalisierung bedeutet, die Vergangenheit weniger streng zu beurteilen oder sogar einen Schlussstrich darunter zu ziehen.


Taberner, Stuart (2005): "Philo-Semitism in Recent German Film: Aimée und Jaguar, Rosenstraße and Das Wunder von Bern“, in: German Life and Letters 58, 3.7.2005. 0016–8777 (print); 1468–0483 (online), https://www.german.leeds.ac.uk/MODL2100%20Gender%20and%20Warfare/Taberner%20wartime%20suffering.pdf, Download 3/2010
Zwei Filme zeigen das deutsche Verlangen nach Wiedergutmachung und Rehabilitation: „Aimée & Jaguar“ sowie „Rosenstraße“. In erster Linie verkörpert Lilly die „ordinary German“. Beispiel: Deutsche und Juden sind vereint in einem Beethoven-Konzert, das gemeinsame Faible für deutsche Kultur vereint sie. Nach Felices Coming out steht die Frage: „Wie kannst du mich lieben?“ für das gegenwärtige Dilemma der Deutschen: Wie kann die deutsch-jüdische Symbiose nach dem Holocaust wiederhergestellt werden? Der Film wird von einer Verlust-Stimmung dominiert. Felices Verschwinden ist symptomatisch für das Verschwinden jüdischen Lebens aus dem Nachkriegsdeutschland. Deutsche leiden an diesem Mangel, müssen sich aber aufgrund dieser Geschichte nicht mit lebenden oder toten „echten“ Juden konfrontieren. Mit Hilfe von Ilses Kommentaren (und ihrer Kritik) wird die totale Identifikation mit Lilly jedoch unterbunden. Die Filmbeispiele zeigen, wie die Vernichtung der Juden Deutschlands („Germany’s Jews“) wie ein Verbrechen erscheinen kann, das Deutschen angetan wurde.


Uvanović, Željko; Drozdek, Iva (2008): Aimee & Jaguar (1999) – A Love Story Between a German Housewife and a Jewish Journalist”. Online: https://ezinearticles.com/?Aimee-and-Jaguar-%281999%29---A-Love-Story-Between-a-German-Housewife-and-a-Jewish-Journalist&id=1065194, Download 3/2011.
Färberböck rückt die Beziehung der beiden Frauen stärker in den Vordergrund als das Buch. Die Darstellung entspringt einer Männerphantasie Färberböcks. Das lässt sich an der Inszenierung der Bettszene ablesen, die pornografisch ist. Am Ende des Films beichtet Lilly, dass sie keine weitere Liebe mehr hatte, dabei steht im Buch, dass sie nach dem Krieg noch einmal verheiratet war. Der Text stellt in erster Linie Fragen: Kann man Wust einen Schuldvorwurf machen? Die Vorwürfe vorheriger Kritiken werden in Frage gestellt: Hat Lilly nur überleben wollen? Die Fokussierung auf Wust ließ sich nicht vermeiden, da Felice tot ist. Aber der Film zeigt eine falsch verstandene Geschichte mit einem voyeuristischen Blick und entspricht damit der linken Ideologie („ideology“), die uns Glauben machen will, Lesbischsein sei eine Art Widerstand gegen die Nazis gewesen. Färberböck änderte das Buch und ließ den armen Soldaten zu seiner Frau nach Haus kommen, die ihn mit einer Frau betrog: Lesbischsein also als Stich in den Rücken? Wird Felice als Zerstörerin der modernen Familie dargestellt? Schlussfolgerung: Es können keine klaren Antworten gegeben werden. Der Film ist ein Denkmal für die menschliche Größe und das Heldentum der deutschen Hausfrau Elisabeth Wust, trotz ihrer menschlichen Mängel.


von Mering, Sabine (2010): Searching for Justice: Jews, Germans and the Nazi Past in Recent German Cinema”, in: Anton, Christine; Pilipp, Frank (Hg.): German Monitor, Beyond Political Correctness. Remapping German Sensibilities in the 21st Century. Amsterdam New York, S. 159-183.


Wende, Waltraud >Wara< (2002/2007): Die Geschichte hinter der Geschichte. Aimée und Jaguar von Erica Fischer (1994) und Max Färberböck (1998)“, in: Wende, Waltraud >Wara< (Hg.): Der Holocaust im Film. Mediale Inszenierung und kulturelles Gedächtnis. Heidelberg 2007, S. 227-258.
Erstveröffentlichung 2002. Der Film wird nahezu ausschließlich als „tragische Liebesgeschichte“ rezipiert. Felice stürzt Lilly in ein Auf und Ab der Gefühle, da Lilly nicht die Einzige für sie zu sein scheint. Ihr Coming out als Jüdin ändert nichts an Lillys Gefühlen. Mit Felices Verhaftung zerbricht die Hoffnung auf privates Glück. Die Hoffnung, dieses Glück über den Zusammenbruch des Dritten Reichs zu retten, wird als Illusion entlarvt.
Für Wende steht neben Lillys Ich-Bezogenheit außerdem als zentrale Frage im Raum, ob Lilly sich durch ihre Ignoranz schuldig an den Massenmorden gemacht hat. Vielleicht blieb es für Lilly nur eine „auf die Ewigkeit angelegte[n] Liebe“, weil Felice nach 1945 nicht zurückgekehrt ist. Schon das Nicht-Übereinstimmen des Liebesbegriffs der beiden Frauen führt dem Zuschauer (sic!) nachdrücklich vor Augen, dass die Wirklichkeit komplexer ist. Es ist erstaunlich, dass alle Lesben im Film so offen mit ihrer Homosexualität umgehen. Wende schließt daraus, dass es auch im NS Frauen möglich war, gleichgeschlechtliche „Neigungen“ zu zeigen, die vielleicht, getarnt als vertraut-intime Frauenfreundschaften, nicht als sexuelle Beziehung angesehen wurden. Der Film gibt zusätzlich Einblick in viele Lebensräume und –realitäten: Neben zerbombten Berliner Straßen ein Nobelhotel, der „psychische[n] Ausnahmezustand der Frontsoldaten und den selbstherrlichen Parolen der NS-Propagandisten“. Ergebnis ist ein buntes Porträt des Chaos- und Kriegsgefühls. Der Holocaust funktioniert hier ohne die zum Klischee gewordenen KZ-Bilder. Es handelt sich um eine vielschichtige Liebesgeschichte im Spannungsfeld von privaten Gefühlen und der Bedrohung durch totalitäre Öffentlichkeit. Es ist ein differenziertes Porträt der Zeitgeschichte, eine raffinierte Bestandsaufnahme zum Thema Erinnern.


Werneburg, Brigitte (1999): „Du sollst dir ein Bild machen – Und unwahrscheinliches geschieht: ‚Aimée & Jaguar‘, der Eröffnungsfilm der Berlinale“, in: taz, 10.2.1999, S. 25.


Zimmer, Catherine (2001): Verboten Love”, in: A Journal of Lesbian and Gay Studies 2001, 7(3), S. 453-458.
Holocaust-Dokumentationen sind in der Regel als angenehme Unterhaltung inszeniert, Beispiel „Paragraph 175”. In „Aimée & Jaguar“ geht es um eine Liebesgeschichte zwischen einer jüdischen Lesbe und einer Gentile. Der Färberböckfilm gaukelt uns vor, nur Juden seien verfolgt worden, denn sonst scheint niemand im Film Angst zu haben, sondern sich alle wohlzufühlen. Der Film erklärt nicht, wie die Situation von Lesben war, benennt lesbisches Leben nicht einmal als Problem. Obwohl Lillys Person eher als unangenehm beschrieben wird (antisemitisch, verheiratet mit einem Nazi, den sie mit einem anderen Nazi betrügt), soll sich „true love“ zwischen ihnen entwickeln. Die Reinheit („purity“) der Liebe zwischen den beiden ist so idealistisch wie der Faschismus selbst: Die Liebe zerstört Felice und erhöht gleichzeitig Lilly in den Status einer Heldin.


Zimmerman, Aine K. (2008): Estranged bedfellows: German-Jewish love stories in contemporary German literature and film.” Dissertation, University of Cincinnati and Ohio, online: https://etd.ohiolink.edu/view.cgi?acc_num=ucin1218765995, bes. S. 124-129.
Felice ist die Einzige, die Lilly ihre nationalsozialistische Haltung vergibt. Mit ihrem Coming out als Lesbe wird Lilly zur „guten“ Deutschen und verortet sich jenseits der heterosexuellen nationalsozialistichen Rolle, die ihr zuvor zugedacht war. Ihr Lesbischsein macht aus Lilly eine Außenseiterin („outsider“); dies unterstreicht der Film, um sie von ihrer Xenophobie reinzuwaschen. Lillys Frage „Wie kannst du mich lieben“ muss sich nicht, wie bei Taberner (2005) auf das Jüdischsein beziehen, sondern kann auch implizieren: obwohl beide Frauen sind. Lilly fühlt sich als eine von ihnen, Felices Freundinnen sehen dies jedoch anders. Der Film glorifiziert die jüdisch-deutsche Liebe und die Versöhnung zwischen Deutschen und Juden.


1b) Texte zur Entstehung des Films „Aimée & Jaguar“

Bylow, Christina (1997): „Bubikopf und Borsalino: Max Färberböck verfilmt das lesbische Liebesdrama ‚Aimée und Jaguar‘“, in: Berliner Zeitung, 28.5.1997, S. 8.


Färberböck, Max (1999): „Der Klang eines Films. Über die Inszenierung von ,Aimée & Jaguar'. Aus einem Gespräch von Nicos Ligouris mit Max Färberböck. In: Töteberg, Michael (Hg.): Szenenwechsel. Momentaufnahmen des jungen deutschen Films. Reinbek: Rowohlt, S. 167-171.
„Alle Szenen sind inszeniert mit einer Musik im Kopf, einem Gefühl für den Rhythmus. (…) Ich habe ein Ohr für Wahrheit.“


Presseheft (1999): „Aimée & Jaguar – Eine Liebe größer als der Tod“. Presseheft des deutschen Verleihs. Senator Film 1999.


Presseheft (2000): “Aimée & Jaguar“. Presseheft des US-amerikanischen Verleihs. Zeitgeist Films Release 2000. https://www.zeitgeistfilms.com/films/aimeeandjaguar/presskit.pdf, Download 2/2006


Weingarten, Susanne (1997): Verwegen noch im Untergang, in: Der Spiegel, 29/1997, S. 166-170.
Drehbericht: Vergleich mit ähnlichen aktuellen Produktionen, die gefloppt sind; in der Beziehung zwischen Lilly und Felice verquicken sich Privates und Politisches. Felice stellte Lilly „aus Sportsgeist“ nach, ließ sich von ihrem „nachgeplapperten Antisemitismus“ nicht abschrecken und fand bei ihr als „Donna Giovanni“ die „Zuflucht, die sie brauchte“.




Ingeborg Boxhammer (Bonn 2011)



2a) Filme zu Lilly Wust und Felice Schragenheim (mit Lilly Wust):


• Das kurze Glück zum langen Traum, 1994; aufgeführt auf der Feminale 1996, gesendet 31.3.1999 WDR


Boulevard Bio: Wenn Frauen Frauen lieben, Talkshow; gesendet am 26.4.1994 ARD.


Love Story, Berlin 1943, 1997; gesendet auf 3sat?


Aimée & Jaguar, 1997; Erstaufführung 11.2.1999 (Eröffnungsfilm Berlinale)





2b) Weitere Spielfilme, in denen Nationalsozialismus und Lesben eine Rolle spielen (ohne Pornos):


• 1944 – UK: Two Thousand Women. Regie: Frank Launder. Buch: Frank Launder, Sidney Gilliat, Michael Pertwee.
Zwei Frauen wollen sich nicht trennen lassen und kommen gemeinsam in einem Nazi-Straflager um.


• 1945 – Italien: Rom, offene Stadt (Roma, citta aperta). Regie: Roberto Rossellini. Buch: Roberto Rossellini, Sergio Amidei, Federico Fellini.
Böse Lesbe und Spionin der Nazis nutzt eine Frau aus und zwingt sie, ihre Freunde zu verraten.


• 1977 – USA: Julia (Julia). Regie: Fred Zinnemann. Buch: Alvin Sargent. Vorlage: Lillian Hellman (Pentimento-Kurzgeschichten, 1973/74).
Jüdische Widerstandskämpferin hat inniges Verhältnis zu ihrer unwissenden Freundin.


• 1980 – Frankreich: Die letzte Metro (Le dernier Metro). Regie: François Truffaut. Buch: Suzanne Schiffman, Jean-Claude Grumberg.
Die lesbische Liaison einer Angestellten gefährdet den versteckten jüdischen Chef eines Pariser Theaters.


• 1980 – USA: Playing for Time. Regie: Daniel Mann (+ Joseph Sargent?). Buch: Arthur Miller. Vorlage: Fania Fenélon (Suris pour l’orchestre, 1976, dt. Das Mädchenorchester in Auschwitz, 1980).
Die im autobiografischen Buch von Fania Fenélon beschriebenen (diffamierenden) Hinweise auf lesbische Liebe in Auschwitz wurden in der Verfilmung weggelassen.


• 1981 – USA: Sophies Entscheidung (Sophie’s Choice). Regie: Alan J. Pakula. Buch: Alan J. Pakula. Vorlage: William Styron (Roman, 1979).
Eine KZ-Überlebende schafft es nicht, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen; die im Roman von Styron genannten lesbischen Affären wurden in der Verfilmung weggelassen.


• 1984 – BRD/Frankreich: Novembermond (Lune de Novembre). Regie und Buch: Alexandra von Grote.
Eine deutsche Jüdin flüchtet nach Paris und wird während der deutschen Besetzung Frankreichs von ihrer Geliebten versteckt.


• 1985 – BRD/Finnland: Flucht in den Norden (Pako Pohjoiseen). Regie und Buch: Ingemo Engström. Vorlage: Klaus Mann (Reise in die Freiheit).
Eine Jüdin flieht vor den Nazis nach Finnland und wird dort von einer Frau verführt, die sie aber zugunsten einer heterosexuellen Affäre fortan ignoriert.


• 1985 – Italien/BRD: Leidenschaften (The Berlin Affair). Regie: Liliana Cavani. Buch: Liliana Cavani, Roberta Mazzoni. Vorlage: Junichiro Tanizaki (Roman, 1930).
Das mehrfach verfilmte Dreiecksdrama von Tanizaki (2 Frauen, 1 Mann) wird hier in die NS-Zeit verlegt und vor diesem Hintergrund inszeniert.


• 1987 – Frankreich: Le Jupon Rouge. Regie: Genevieve Lefebvre. Buch: Nicole Berckmans, Genevieve Lefebvre.
Eine Dreiecksgeschichte zwischen drei Frauen (zwei jüngeren, einer älteren), die zugunsten der Shoah-Überlebenden entschieden wird.


• 1992 – USA: Wie ein Licht in dunkler Nacht (Shining Through). Regie und Buch: David Seltzer. Vorlage: Susan Isaac (Roman).
Eine "Halbjüdin" wird während des Zweiten Weltkrieges Agentin; eine Doppelagentin findet sie zwar attraktiv, hasst aber alle Juden und Jüdinnen.


• 1996 – USA: Emily and Gitta. Regie und Buch: Tami Gold.
Tochter von Shoah-Überlebenden verliebt sich in eine Deutsche, 30 min.


• 1999 – Tschech. Rep.: Lebensborn (Pramen zivota). Regie: Milan Cieslar. Buch: Vladimir Körner. Vorlage: Vladimir Körner (Roman).
Eine lesbische Ärztin, die im besetzten Sudetenland für das Projekt „Lebensborn“ arbeitet, verschont eine Jüdin und begeht Suizid.


• 2000 – D: Marlene. Regie: Joseph Vilsmaier. Buch: Christian Pfannenschmidt. Vorlage: Maria Riva (Meine Mutter Marlene, 1992).
In dieser fiktiven Biografie von Marlene Dietrich wird das lesbische Techtelmechtel zwischen ihr und Margo Lion von einem für Dietrich attraktiveren Wehrmachtssoldaten gestört.


• 2004 – D/Tschechien: Die Kirschenkönigin. Regie: Rainer Kaufmann. Buch: Justus Pfaue.
In einer fiktiven jüdischen Familiendynastie, die von 1914 bis zur Nachkriegszeit erzählt wird, behauptet sich auch eine lesbische Tochter.


• 2004 – USA/UK/Spanien/Kanada: Die Spiele der Frauen / Mit dem Kopf in den Wolken (Head in the Clouds). Regie und Buch: John Duigan.
Dreiecksgeschichte zwischen einer spanischen Widerstandskämpferin, einem irischen Lehrer und einer englischen Aristokratentochter, die nach dem Tod ihrer Freundin mit den deutschen Nazis in Paris kollaboriert.


• 2006 – D: Vier Minuten. Regie und Buch: Chris Kraus.
Gegenwartsfilm mit kurzem Rückblick auf lesbische Erinnerung an die von den Nazis hingerichtete Liebste einer der beiden weiblichen Hauptpersonen.


• 2008 – D: Das Zimmer im Spiegel. Regie: Rudi Gaul. Buch: Rudi Gaul, Heiko Voss.
Eine während der nationalsozialistischen Herrschaft in einer Mansarde versteckte Jüdin lebt oder phantasiert eine lesbische Beziehung mit der Bekannten ihres Mannes.


• 2010 – D: Schicksalsjahre. Regie: Miguel Alexandre. Buch: Thomas Kirchner. Vorlage: Uwe Karsten Heye („Vom Glück nur ein Schatten“).
Während des Zweiten Weltkriegs wird eine einsame Ehefrau und Mutter von ihrer lesbischen Freundin verführt.


• 2011 – D: Rubbeldiekatz. Regie: Detlev Buck. Buch: Detlev Buck, Anika Decker.
Gegenwartskomödie um einen Bühnenschauspieler, der als Frau verkleidet ein "BDM-Mädel" in einem Hollywoodfilm spielt, das sich in die jüdische Geliebte eines SS-Offiziers verliebt.


• 2012 – D: Das Adlon. Eine Familiensaga. Regie: Uli Edel. Buch: Uli Edel, Rodica Döhnert.
Dreiteilige ZDF-Familiensaga, die sich mit zwei ineinander verwobenen Familiengeschichten an der Geschichte des Berliner Hotels Adlon orientiert, das 1907 von Lorenz Adlon gegründet wurde. Während der Naziherrschaft lebt die fiktive Alma Schadt in lesbischer Beziehung mit einer Deutschamerikanerin in den Staaten.


• 2012 – D/Österreich/Ungarn: Die Spionin. Regie: Miguel Alexandre. Buch: Annette Hess.
TV-Drama um eine deutsch-englische Doppelagentin, lose orientiert an Vera von Schalburg (1912-unbekannt), die während des Zweiten Weltkriegs in Paris für verschiedene Seiten arbeitet und dabei eine lesbische Gräfin ausschaltet, die ihr auf die Schliche kommt.


• 2013 – D: Ein weites Herz. Regie: Thomas Berger. Buch: Thomas Berger, Franziska Gerstenberg, Annette Hess. Vorlage: Matthias Wegner (Roman, 2003)
Biografie über das Leben von Isa Vermehren (1918-2009), die als Kabarettistin, Schauspielerin und schließlich Ordensschwester der Sacre Coeur Schwestern gewirkt hat. Im Film verbindet sie eine innige Zuneigung mit Elisabeth von Plettenberg (1911-2000), der Frau ihres Bruders Erich Vermehren (1919-2005).



Ingeborg Boxhammer (Bonn 2011, aktualisiert 7/2014)